Verhaal

Eine Erinnerung an Tante Else.

Eine Erinnerung von Jehudith Noach als Mädchen von sieben Jahren, an ihre „Tante Else“, Else S. Maij-Goldberg

Im September 1940 verzogen wir von der Josef-Israelskade in Amsterdam zur Hoendiepstraat. Ich war damals 7 Jahre alt. Meine eigene Mutter hatte mich und meinen Vater 41/2 Jahre zuvor verlassen.

Dort freundeten wir uns mit „Tante Else“ (Else S. Goldberg geboren 1914) und mit „Oom Max“ an (David M.I.Maij, geboren 1912). Sie waren 1937 getraut worden und als das Paar dann 1940 ein Töchterchen Martha (*5.11.1940, der Übersetzer) bekam, drückten alle jüdischen Straßenbewohner ihre Freude darüber aus, weil Tante Else meinte, dass sie wohl kinderlos bleiben solle. Das Paar war in den dreißiger Jahren aus Deutschland geflüchtet.

Onkel Max war blind; er arbeitete irgendwo im Stadtzentrum. Schon bald war es nicht mehr erlaubt, Straßenbahn fahren und er musste zusehen, wie er, laufend mit dem Blindenstock, den Weg zur Arbeit fand.

Tante Else hatte schwarze kräftige Haare, die sie aufgerollt um ihren Kopf trug – ständig sprangen kleine Locken heraus. Sie hatte braune Augen und eine sehr liebe Ausstrahlung. Sie summte sehr viel während ihrer Arbeit. Onkel Max war auch dunkel mit lockigen Haaren und trug eine Brille mit dicken dunklen Rändern, ein ruhiger, ernster Mann. Sie wohnten gegenüber von uns, auch im ersten Stock – wir konnten so bei ihnen reingucken.

Tante Else fragte mich manchmal, ob ich einen Dienst für sie tun konnte, weil sie nicht mehr in die Geschäfte durfte. Einmal in der Woche ging sie zum Judenmarkt. Das war zuvor ein Spielplatz in der Gaaspstraat, wo heute das Denkmal von Truus Menger steht. Ich ging dann mit und musste an der anderen Straßenseite mit Martha warten. Sie sagte dann immer:“wenn was passiert, komm nicht zu mir, sondern geh direkt mit Martha zu dir nach Haus.“

Sie kam schnell wieder zurück und war dann deutlich erleichtert, kicherte andauernd. Ich spürte, dass da was im Gange war, begriff es aber erst später.

Wenn ich aus der Schule kann, ging gleich zu ihr hin. Wir quatschten, ich durfte ihr in der Küche helfen oder spielte mit Martha.

Im Winter rieb sie immer meine eiskalten Hände am Backofen warm.

Eines Abends, ich lag schon im Bett, hat sie für mich was gebracht: eine versilberte oder silberne Gabel und Löffel mit ihrem Namen zierlich eingraviert und ein kleines Bücherregal mit zwei Brettern aus dunkel poliertem Holz und hellen Flammen darin. Die Bretter waren verbunden mit hölzernen Kugeln von etwa 3 cm im Durchmesser. Mit Haken konnten sie an der Wand befestigt werden. Am nächsten Tag, einem Samstag, bekam ich die Geschenke. Es war der Tag, an dem ich gewöhnlich meine eigene Mutter besuchte, weil sie woanders wohnte und die, seit ich 2 ½ Jahre alt war, meinen Vater verlassen hatte und mich bei ihm zurückgelassen hatte. Das Regal ist kurz nach dem Krieg von jemand zerstört worden, das Besteck gestohlen.

Als ich dann wieder nach Hause kam, konnte man sehen, dass Tante Else weggeholt worden war, zusammen mit allen jüdischen Bewohnern unserer Straße. Mein Vater musste auch mit, durfte aber vom SD (Sicherheitsdienst, der Übersetzer) in der Euterpestraat wieder zurückkehren, da er eine Sperre (des Judenrats, der Übersetzer) hatte.

Am nächsten Tag bin ich ihre Treppe hochgegangen – ich glaubte es nicht – sie konnten doch nicht weg sein. Es klebte ein fremdes Siegel an ihrer Tür und Türrahmen. Ich rief nach ihr, lauschend an der Tür. Ich hörte den vertrauten Gesang ihres Kanarienvogels nicht, nur einen tropfenden Wasserhahn. Plötzlich wurde mir schrecklich bang: Ich flog fast fallend die Treppe herunter. Draußen kann es mir vor, als würde die Sonne auf mich fallen.

Nach kurzer Zeit kam ein Briefchen von ihr, das vorgelesen wurde. Es ging ihnen gut. Martha hatte im Krankenhaus gelegen und wurde vollständig von ihrer Nesselsucht geheilt, denn als sie ein Kleinkind war, hatte sie damit zu tun. Und der Arzt hatte zu Onkel Max gesagt, dass es dort, wo sie hingehen sollten, richtig gute Ärzte gäbe, die ihm wegen seiner Blindheit helfen könnten.

Am 6.Juli 1943 wurde die Familie von Westerbork aus deportiert, am 9. Juli ins Gas geschickt in Sobibor. – 9. Juli genau am Geburtstag meiner echten Mutter.

Meine Frage: Ich hätte so gern ein Foto von Tante Else.

Kann mir jemand dabei helfen?

Jehudith Noach, geboren 1933 https://www.joodsmonument.nl/en/page/394994/een-herinnering-aan-tante-else

 

Übersetzung ins Deutsche durch Dr. Franz-Josef Wittstamm - Sauerbruchstraße 29 - 44801 Bochum

Geposted am 29 November 2020 mit Genehmigung der Redaktion des Judischen Monument.

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