Verhaal

Josef Strauss

Am 6. Oktober 1924 kam Josef Strauss als Sohn von Henry Strauss und seiner Ehefrau Helene, geb. Rothschild, in der elterlichen Wohnung am Mathildenplatz 9 in Darmstadt zur Welt. Er war der jüngere der 2 Kinder von Samuel und Helene, sein Bruder Samuel Stefan wurde am 22. Juni 1922 geboren. Beide kamen in eine Familie die sich sowohl in Kreisen der Kaufmannschaft als auch in der orthodoxen israelitischen Religionsgesellschaft höchster Wertschätzung erfreute.

Begründet wurde das Ansehen der Familie und der Firma mit dem Zuzug von Samuel Strauss und seiner Frau Rebekka, geb. Wiesenheim, den Großeltern von Josef, im Jahre 1867 von Langen. Hier in Darmstadt betrieb Samuel seit dem 20. August unter seinem Namen eine Handlung für Landesprodukte und Zigarren, erst in der Ernst-Ludwig-Straße, ab 1871 am Mathildenplatz 94. Aus der Ehe von Samuel und Rebekka gingen in den Jahren 1866 bis 1881 insgesamt 11 Nachkommen hervor, von denen freilich 4 bereits im Kindes- und Jugendalter verstarben. Hier von Interesse sind die Söhne Hugo und Henry, der Vater von Josef, beide Jahrgang 1875, beide blieben in Darmstadt und führten später die Firma, sowie deren Schwester Mathilde, Jahrgang 1878.

Später war Rebekka war nicht mehr so stark durch die Erziehung der großen Kinderschar in Anspruch genommen, auch dürfte der Geschäftsumfang zugenommen haben. Deswegen erhielt sie im September 1897 Prokura. Diese vorausschauende Maßnahme machte sich beim Tod von Samuel Strauss am 6. Januar 19107 bemerkbar, das Geschäft kann ohne Unterbrechung weiter laufen, jetzt mit Rebekka als Eigentümerin und der Söhnen Hugo und Henry als Prokuristen. Eine Zeitungsnotiz über Samuels Tod spiegelt die große Wertschätzung für ihn wider, berichtet wird von einem unabsehbaren Trauerzug. Besonders hervorgehoben werden seine unerschütterliche Gesetzestreue, seine aufrichtige Menschenliebe und seine Wohltätigkeit. Aber dieser Schicksalsschlag war nicht genug, bereits im Folgejahr am 9. Dezember verstarb Rebekka Strauss10. Ebenso wie bei ihrem Mann wird in einer Zeitungsnotiz ihr Leben und Wirken in höchsten Tönen gelobt. Aber auch die Übergabe der Firma erfolgt ohne Probleme, Hugo und Henry Strauss treten als persönlich haftende Gesellschafter ein und werden dadurch Eigentümer.

Über eine Teilnahme der Brüder am 1. Weltkrieg ist nichts überliefert, bereits vorher im Mai 1913 hatte Hugo geheiratet, Henry tat dies erst danach am 14. Juni 1921. Seine Braut war Helene Rorhschild aus Alsfeld, die wie er aus einer orthodoxen jüdischen Familie stammte und als älteste mit 4 jüngeren Geschwistern aufgewachsen war.

Aus dieser Ehe gingen, wie bereits beschrieben, die Söhne Samuel Stefan und Josef hervor. Schon in diesen Jahren engagierte sich Henry in verschiedenen Funktionen im Gemeindevorstand der Religionsgesellschaft, dieses Engagement dauerte bis weit in die 1930er Jahre an. In der Firma ergab sich 1928 eine Änderung durch den Austritt des Bruders Hugo aus der Gesellschaft, Henry führte darauf das Unternehmen als Einzelkaufmann weiter. Deuteten sich hier gesundheitliche Probleme bei Hugo an? Zumindest verstarb dieser am 1. November 1930.

Im Unternehmen, einem Großhandel für Kolonial- und Tabakwaren, arbeiteten vor 1933 aus der Familie die beiden Eltern von Josef, daneben waren noch 5 weitere Personen beschäftigt. Während der Vater als Reisender unterwegs war, versah die Mutter den Innendienst, sie bestellt Waren, beaufsichtigte die Lagerbewegungen und führte die Lagerbücher. Der Umsatz betrug rund 200.000 RM. Nach der Machtergreifung und den Boykottmaßnahmen im April 1933 ging dieser laufend zurück, die Beschäftigten mussten entlassen werden und 1938 war die Geschäftstätigkeit vollkommen zum Erliegen gekommen.

Vom 21. April 1931 an besuchte Josef die Ohlyschule, die er nach Abschluss der 3. Klasse im April 1934 verlies, um in die neu gegründete orthodoxe jüdische Schule einzutreten. Für eine höhere Ausbildung wurde er als Jude nicht zugelassen.

Während der 1930er Jahre diente das Haus am Mathildenplatz auch als letzte Station vor der Flucht nach Palästina von Geschwistern von Helene aus Alsfeld. So ist diese Adresse in den in der Trauungsurkunde von Dr. Hugo Rothschild und Alice Gernsheimer vom 3. November 1935 angegeben. Noch im gleichen Monat verließen beide Deutschland22. Auch Helenes Bruder Siegmund Rothschild war 1938 zusammen mit der gemeinsamen Mutter Frieda nach Darmstadt gekommen. Von hier aus betrieb er die Auflösung seiner Firma D.H. Rothschild Sohn in Alsfeld, bevor er noch rechtzeitig vor den Novemberpogromen ebenfalls nach Palästina fliehen konnte.

Auch Josef Strauss versuchte aus Deutschland zu fliehen, sein Ziel waren die USA. Im September 1938 beantragte eine dortige Hilfsorganisation für ihn, zusammen mit 5 anderen Kindern, beim Konsulat ein Visum und reichte die erforderlichen Papiere ein. Aber auch ein Hinweis auf die Dringlichkeit des Falles konnte hier nichts beschleunigen. Als möglicher Einreisetermin wurde das Jahr 1942 genannt. Das gesamte Leben der Familie Strauss wurde durch die Pogrome im November 1938 vollständig umgeworfen. Während im Haus alle Fenster zertrümmert wurden und Helenes Mutter Frieda einen Herzanfall erlitt, nahm man Henry als „Aktionsjude“ am 10. November in „Schutzhaft“ und verschleppte ihn nach Buchenwald. Während aber die Mehrzahl der „Aktionsjuden“ bis Dezember oder Januar inhaftiert blieben, wurde er bereits nach 10 Tagen wieder entlassen. Diese kurze Haftzeit deutet darauf hin, dass die Ausreisepläne für ihn und seine Familie schon recht konkret waren, eine derart zeitige Entlassung sollte ihn befähigen, diese so schnell wie möglich umzusetzen, damit Deutschland im Sinne der Machthaber auf diese Art „Judenfrei“ wird.

Obwohl nichts davon überliefert ist, kann man sich vorstellen, dass die Erfahrungen von Henry in Buchenwald mit ein Grund dafür war, seine beiden Söhne so schnell wie möglich aus Deutschland heraus zu bringen. Beide Söhne kamen mit einem Kindertransport in die Niederlande, Einzelheiten, so z.B. die beteiligten Organisation und der Ablauf der Aus- bzw. Einreise, sind nicht zu ermitteln. Als gesichert kann gelten, dass sie am 7. Dezember 1938 in Amsterdam gemeldet und in der Quarantäneeinrichtung Zeeburgerdijk untergebracht wurden.

Am 8. Mai kamen die Eltern Strauss ebenfalls in die Niederlande, um am 14. Mai über Rotterdam nach Nord-Rhodesien weiter zu fliehen. Die Brüder Stefan und Josef, Mittlerweilen im Haus Sonsbeck in Arnhem untergebracht, trafen sie bei dieser Gelegenheit. Dabei reiste Stefan mit seinen Eltern, während Josef mit der Hoffnung auf einen Kindertransport in die USA weiterhin in den Niederlanden verblieb. Das Ziel der Eltern, Nord-Rhodesien, war bei den jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland so gut wie unbekannt, stellte für ein Visum aber nur sehr geringe Anforderungen: den Besitz von 100 Pfund, und auch diese konnten geliehen sein. Die meisten Flüchtlinge wurden auf diese Möglichkeit aufmerksam durch den Hinweis von Freunden oder Verwandten in Südafrika. Hier in NordRhodesien starb auch Henry Strauss im Jahr 1944, während seine Witwe Helene mit ihrem Sohn Stefan 1947 zu einer ihrer Schwestern und deren Mann in die USA gingen.

Der in den Niederlanden verbliebene Josef Strauss kam Ende 1939 von seiner Unterbringung in Arnhem in das Haus Kraaybeek in Driebergen. Inwieweit hier eine Fortsetzung der in Deutschland begonnenen und dann zwangsweise unterbrochenen schulischen Ausbildung stattfand konnte nicht ermittelt werden. Dies änderte sich erst Ende Februar 1940, zu diesem Zeitpunkt kam Josef in das Werkdorp Wieringen. Diese Einrichtung sollte ihren Schülern praktische Fähigkeiten vermitteln, die sowohl für ein Leben in Palästina als auch in anderen Auswanderungsländern nützlich sein konnten. Es ist anzunehmen, dass er hier seine Ausbildung als Elektrotechniker begann. Im April 1940 floh Josefs Tante Selma mit ihrem Mann Albert Stiefel in die USA, auch sie versuchten, ihn mit Hilfe des JDC noch aus Europa heraus zu holen.

Aber schon einen Monat später schlug die Falle für Josef zu: die Nazis überfielen und besetzten die Niederlande, seine Ausbildung ging aber weiter. Hier gab es erst im Jahr 1941 Einschränkungen, mehr und mehr Schüler wurden von den Nazis nach Amsterdam gebracht und in Privatunterkünfte gesteckt. Im September 1941 traf es auch Josef, er kam bei Paul Schirling unter, seinem Cousin. Dieser war ein Sohn seiner Tante Mathilde, die in Bingen mit dem inzwischen verstorbenen Dr. Viktor Schirling verheiratet gewesen war. Paul war bereits im August 1933 in die Niederlande geflohen und hatte dort Isabella Margot Kahn aus Frankfurt geheiratet. Aus dieser Zeit des Aufenthaltes bei seinem Cousin datiert auch das letzte Lebenszeichen, dass seine Eltern von ihm erhielten, eine Mitteilung über das Rote Kreuz. Ob seine Angaben, ihm ginge es gut und er lerne weiterhin Elektrotechniker, den Tatsachen entsprachen oder nur der Beruhigung der Eltern dienen sollte, kann nicht beurteilt werden. Aber schon am 22. Mai 1942 musste er wieder umziehen in ein Haus des jüdischen Rates in der Plantage Franschelaan 13, offensichtlich waren die Nazis bestrebt, die privat untergebrachten Jugendlichen zusammen zu fassen. Diente diese Maßnahme schon der Vorbereitung der Deportation?

Anfang Juli 1942 wurden an 4000 jüdischen Mitbürger in Amsterdam Aufforderungen verschickt, sich am 15. Juli einzufinden für den Transport in eine Arbeitseinrichtung unter polizeilicher Aufsicht in Deutschland. Dieser Aufforderung folgten freilich nur 400 Personen, so dass die fehlende Zahl zur gewünschten Transportgröße von 1000 durch Festnahmen bei einer Razzia erzielt wurde. Ob Josef Strauss der Aufforderung folgte oder Opfer der Razzia wurde ist nicht bekannt. Der Transport ging kurz nach Mitternacht ab und erreichte das Zwischenlager Westerbork in den frühen Morgenstunden. Hier fand eine erneute Registrierung statt und zwei neue Transporte wurden zusammen gestellt, der noch am gleichen Tag kurz hintereinander ihrem eigentlichen Ziel entgegen fuhren: Auschwitz. Diese Transporte wurde in großer Eile angeordnet, da eine eigentlich vorgesehene Deportation aus Frankreich nicht statt finden konnten. Schließlich hatte für den 17. Juli der Reichsführer SS, Heinrich Himmler seinen Besuch in Auschwitz avisiert und die Lagerleitung wollte ihm auch etwas „bieten“. Tatsächlich erreichten die Transporte an diesem Tag ihr Ziel, und Himmler konnte den Betrieb der Gaskammern inspizieren. Josef Strauss wurde für Zwangsarbeit selektiert, er erhielt die Häftlingsnummer 47614. Er überlebte freilich die in Auschwitz herrschenden mörderischen Verhältnisse keinen Monat. Bereits am 16. August wurde er durch diese getötet. Sogar eine Sterbeurkunde wurde unter der Nummer 21271/1942 am 24. August ausgestellt, diese nennt als Todesursache einen akuten Magendarmkatarrh.

Bron: https://www.holocaustnamenmonument.nl/media/downloads/Strauss_Josef_Mathildenplatz_9.pdf

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