Verhaal

Stolpelsteine Kielortallee 22 Eimsbüttel

Door: Annemiek

HIER WOHNTE
ALFRED LEVY
JG. 1917
"SCHUTZHAFT" 1938
SACHSENHAUSEN
FLUCHT HOLLAND
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 1943
AUSCHWITZ
ERMORDET 25.1.1943

Weitere Stolpersteine in Kielortallee 22:
Martha Brager, Frieda Brager, Werner Brager, Siegmund Brager, Liesel Brager, Bela Brager, Joel Falk, Heinrich (Henoch) Herbst, Karoline (Caroline) Herbst, Helene Horwitz, Martha Levy, Manuel (Emil) Neugarten, Herta Neugarten

Martha Levy, geb. Goldschmidt, am 15.9.1883 in Hamburg, am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof deportiert
Alfred Levy, geb. am 25.12.1917 in Hamburg, am 25.1.1943 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet

Kielortallee 22

Als Martha Goldschmidt im Mai 1908 zusammen mit ihrer Mutter und den Geschwistern in die Kielortallee 22 zog, sollte dies zugleich ihre letzte Hamburger Adresse werden.

Ihr Vater, Aron Goldschmidt (geb. am 22.12.1840 in Emden, gest. am 28. Januar 1903 in Hamburg), der als selbstständiger Kaufmann Kommissionsgeschäfte tätigte, und ihre am 25.4.1850 in London unter dem Mädchennamen Newstadt geborene Mutter Annie (gest. am 8. Juli 1929 in Hamburg) waren seit dem 17. März 1892 im Kraienkamp 18, Haus 2 gemeldet.

Es handelte sich um eine sogenannte Freiwohnung, in denen die 1868 von Berend Oppenheimer errichtete gleichnamige Stiftung bedürftigen jüdischen Familien Unterkunft gewährte. Dies lässt den Schluss zu, dass die Goldschmidts über ein geringes Einkommen verfügt haben dürften. Der Stifter hatte sich als Aufnahmekriterium in seinem Stift lediglich den Nachweis eines korrekt geführten religiösen Lebenswandels ausbedungen.

Wegen umfangreicher Sanierungspläne der Hamburger Neustadt, mussten die Grundstücke der Stiftsanlage aufgegeben werden. Alternativ entstand in den Jahren 1907/08 ein neues fünfgeschossiges Gebäude in der Kielortallee 22, welches sowohl 23 Zwei- u. Dreizimmerwohnungen auswies, und auch eine vom Erdgeschoss bis in das erste Obergeschoss reichende Synagoge beherbergte. Das Anwesen, das ab 1941 wie viele andere jüdische Wohnstifte auch als "Judenhaus" fungierte, überstand die Bombenangriffe nahezu unbeschadet. (In den ersten Jahren nach Kriegsende diente es den nach Hamburg zurückgekehrten Juden und der neugegründeten Jüdischen Gemeinde in Hamburg bis 1960 als Gotteshaus. Heute ist es ein privat geführtes Wohnhaus.)

Auf einer für die damals sechzehnjährige Martha angelegten "Dienstkarte L" geht hervor, dass sie zwischen 1899 und 1908 als Kinderfräulein und Stütze, sprich Haushaltshilfe, sowohl bei verschiedenen Familien unter wechselnden Adressen, als auch gelegentlich bei ihren Eltern gewohnt hat. Der letzte Eintrag ihrer Dienstkarte enthält den Hinweis von Marthas Umzug nach Antwerpen. Einer später geführten Meldekarte ist zu entnehmen, dass sie, nunmehr als Köchin, ab dem 1. April 1912 wieder bei ihren Eltern in die III. Etage eingezogen war.

Am 24. April 1914 heiratete Martha den am 21.8.1884 in Hamburg geborenen Buchhalter Rudolf Levy. Als dieser kriegsversehrt aus dem Ersten Krieg zurückkehrte, konnte das Paar eine Wohnung im Parterre des Hauses Kielortallee 22 beziehen. Es bleibt anzunehmen, dass Martha, die inzwischen auch den Beruf einer Buchhalterin ausübte, ihrem Mann bei dessen Tätigkeiten unterstützte. Obwohl selbst in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen, einhergehend mit räumlicher Enge lebend, adoptierte das kinderlos gebliebene Ehepaar Alfred Goldschmidt, den Sohn aus Marthas Bruders Bartholds erster Ehe.

Barthold, der am 20.4.1893 in Hamburg geboren worden war, und die am 12.11.1891 in Altona geborene, evangelisch getaufte Amanda Anna Martha Müller schlossen den Bund der Ehe am 31. August 1917 vor dem Standesamt Altona. Das Glück währte jedoch nicht lange, und das Paar wurde am 16. August 1921 geschieden. Unter den schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen der Rezessionsjahre erzielte Barthold, der sich als Vertreter und "Provisionsreisender" für Herrenkonfektionen verdingte, eher mäßige Einnahmen, die kaum sein tägliches Auskommen sicherten. Vielleicht war er finanziell nicht in der Lage, Alfred allein zu erziehen.

(Knapp zwei Jahre nach der Scheidung, am 4. Juni 1923 nahm Amanda ihren Mädchennamen Müller wieder an. Es vergingen acht weitere Jahre, bis sie am 16. Juni 1931 Henry Siegel heiratete, der am 23.12.1880 in Hamburg geboren worden war. Vermutlich war er Inhaber der Fa. "Carl. Jul. Klein" und führte später eine Handelsvertretung für Zigarren. Gemeinsam lebten sie unter den Adressen Immenbusch 21 und, seit 1940, Hütten 85. Henry Siegel verstarb am 6. Mai 1964, Amanda folgte ihm am 16. November 1967.)

Barthold heiratete zwei weitere Male. Aus der am 9. Juli 1924 geschlossenen Ehe mit der am 28.5.1892 in Smarczow/ Polen, geborenen Jüdin Laura (geb. Freid) gingen die Söhne, Salomon Robert, geb. am 19.5.1925, und Bruno, geb. am 24.11.1926, hervor. Beide kamen in Hamburg zur Welt. Als Laura Goldschmidt 1931 schwer erkrankte und in der Folge am 2. Januar 1933 im AK St. Georg verstarb, brach die Familie auseinander. Barthold, durch hohe Arztrechnungen und Mietrückständen zunehmend in finanzielle Bedrängnis geraten, konnte den täglichen Unterhaltsbedarf für seine beiden Söhne nicht länger leisten. Als Jude ohne Aussicht auf eine feste berufliche Anstellung, war er seit 1933 ununterbrochen erwerbslos und bezog bis 1937 durchgängig Fürsorgeleistungen der Wohlfahrtsbehörden. Der Not gehorchend wurden die Kinder bei Verwandten untergebracht. So nahm Martha vorübergehend auch ihren Neffen Bruno notdürftig auf.

Auch seine dritte Ehe brachte Barthold Goldschmidt kein Glück: Nicht nur, dass seine Kinder auch hier keinen Platz fanden und in ein Waisenhaus eingewiesen werden mussten, seine Ehefrau Ester Zirkmann bezichtigte ihn auch noch der "Rassenschande", des "Konkubinats" mit einer "Arierin". Im Scheidungsurteil vom 26. März 1934 war Barthold des "Ehebruchs" für schuldig befunden und in der Folge am 10. September 1937 vom Landgericht Hamburg auf Grundlage der "Nürnberger Gesetze" von 1935 zu zwei Jahren Zuchthaus wegen verurteilt worden.

Unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Haft im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel wurde er am 3. Juli 1939 wieder in "Schutzhaft" genommen und am 31. August 1939 in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt, wo er am 29. März 1940 an "Körperschwäche" verstarb. (www.stolpersteine-hamburg.de Biografie Barthold Goldschmidt) (Ester, geb. am 10.12.1900 in Naumiestis/ Russland, wurde am 15. Juli 1942 in das Getto Theresienstadt deportiert, am 23. Januar 1943 nach Auschwitz transportiert und dort am 23. September 1943 ermordet wurde).

Alfred Goldschmidt, geb. am 25.12.1917 in Hamburg, unterdessen 1924 durch seine Tante Martha und den Onkel Rudolf adoptiert worden und nahm deren Nachnamen Levy an. Später absolvierte er eine Malerlehre.

Von der Gestapo in der Pogromnacht am 10. November 1938 verhaftet, blieb er bis zum 17. Januar 1939 im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert. Nach seiner Entlassung emigrierte er in die Niederlande.

Dort gelangte er im Mai zunächst nach Franeker in der Provinz Friesland, wo er sich einem Kibbuz, einer Niederlassung der Hachsjara, anschloss. Diese zionistisch geprägte Institution bot die Vorbereitung zur Siedlung in Palästina an. Hier begann er eine Ausbildung zum Landbauern. Im Oktober 1939 wurde er in die psychiatrische Anstalt Apeldoornsche Bos eingewiesen. Die Klinik, 1909 gegründet, behandelte bis zu ihrer Schließung 1943 vornehmlich verhaltensauffällige und behinderte jüdische Jugendliche. Hier wurde er bis April 1940 ärztlich behandelt, über die Ursachen wissen wir nichts. Anschließend hielt sich Alfred zwei Jahre in Amsterdam auf, bis er im April 1942 abermals im Apeldoornsche Bos aufgenommen werden musste.

Als die Wehrmacht die Einrichtung in der Zutphensche Straat 106 schloss, wurde er zusammen mit 900 bis 1200 (die Zahlenangaben schwanken in den unterschiedlichen Quellen) weiteren Patienten in Güterwaggons verladen und am 22. Januar 1943 ins Lager Westerbork gebracht. Hier mussten die Ärzte und Pflegekräfte aussteigen, die in Westerbork benötigt wurden. Lediglich 50 jüdische Krankenschwestern, denen man zugesichert hatte, in die Niederlande zurückkehren zu können, begleiteten den "Krankensondertransport" in das Vernichtungslager Auschwitz. Viele der zuvor misshandelten Patienten, teils in Zwangsjacken, teils nackt winterlicher Kälte ausgesetzt, überlebten schon die unmenschlichen Bedingungen auf dem Transport nicht. Alle anderen, unter ihnen Alfred Levy, wurden unmittelbar nach Ankunft des Zuges am 25. Januar 1943 ermordet.

Auch die 50 Krankenschwestern kamen in Auschwitz um.
Insgesamt wurden 75% der 1940 in Holland lebenden 140.000 Jüdinnen und Juden, 107.000 Menschen, getötet.

Wir wissen nicht, ob Alfred vom Kibbuz aus zu seinen Verwandten in Hamburg Kontakt hatte und er vom Ableben seines Onkels wusste. Rudolf Levy verstarb am 28. Oktober 1941 in Hamburg. Vom Schicksal seiner Tante Martha wird er sicher nicht erfahren haben. Sie erhielt wie ihre Schwester Ella, verh. Lange Anfang Dezember 1941 den Deportationsbefehl in den "Osten". Der Transport ging am 6. Dezember 1941 mit dem Ziel Getto Riga vom Hannoverschen Bahnhof ab und erreichte sein Ziel drei Tage später am 9. Dezember 1941. Doch brachte die SS die Insassen des Zuges nicht in das Getto Riga, sondern auf das nahegelegene Gut Jungfernhof, denn im Getto Riga lief noch eine "Räumungsaktion", d.h. Die Erschießung von 27.500 lettischen Juden.

Unter den primitiven Lebensbedingungen auf dem Jungfernhof verhungerten und erfroren hunderte der aus Hamburg und anderen Städten dort eingewiesenen Juden. Ca. 1800, die den Winter überstanden hatten, wurden im Frühjahr 1942 in der "Aktion Dünamünde" erschossen. Lediglich 35 Menschen aus Hamburg sollen diese Deportation überlebt haben.

Der genaue Zeitpunkt und die Umstände von Martha Levys Tod sind nicht bekannt. Sie wurde auf den 8. Mai 1945, 24 Uhr, per Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom
14. September 1953 offiziell für tot erklärt.

Der Versteigerungserlös ihrer zurückgelassenen Möbel und Hausratutensilien wurde ebenso wie ein verbliebenes Guthaben auf ihrem Konto – in Summe 429,42 RM – von den Finanzbehörden dem "Deutschen Reich" übertragen.


Zum Schicksal von Martha Goldschmidts weiteren Geschwistern:

Paul Aron Philip Goldschmidt, geb. 19.12.1874, wurde am 24. Februar 1943 nach Theresienstadt deportiert. Dort verstarb er am 21. Dezember 1943. (www.stolpersteine-hamburg.de Biografie Paul Goldschmidt)

Sofie/Sofia/Sophia Goldschmidt, geb. am 23.2.1877 in Hamburg, gest. am 28. Dezember 1931 in Hamburg, hatte den am 14.12.1871 im westpreußischen Culm geborenen Max Bukofzer, gest. am 7. November 1940 im Israelitischen Krankenhaus in Hamburg. Geheiratet. Aus der am 22. Dezember 1898 geschlossenen Ehe mit dem "Reklameverteiler" Bukofzer, der von 1914–1918 als Soldat "im Feld" gestanden hatte, gingen zwei Kinder, Arthur, geb. am 22.5.1899 und Bertha, geb. am 20.2.1903, hervor. Beide kamen in Hamburg zur Welt und überlebten Krieg und Verfolgung.

Ella Goldschmidt, verheiratete Lange, geb. am 24.2.1878 in Hamburg, wurde am 6. Dezember 1941 nach Riga-Jungfernhof deportiert und kam dort zu Tode.
Ella Lange wurde per Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 19. November 1953 auf den 8. Mai 1945, 24 Uhr, für tot erklärt.(www.stolpersteine-hamburg.de Biografie Ella Lange).

Alfred Goldschmidt, geb. am 19.7.1880 in Hamburg, von Beruf Buchhalter, verheiratet mit der nichtjüdischen Martha Clara Wilhelmine Härtel, geb. am 23.8.1885 in Mallwitz, wohnte im Stellingerweg 2. Alfred fiel bei Stellungskämpfen an der Yser in Flandern am 19. Mai.1916 als Gefreiter der Landwehr in der 11. Kompanie des Reserve-Ersatz-Infanterie-Regiments Nr. 4, "Verlustnr. 554".

Elisa Goldschmidt, verheiratete Groth, geb. am 22.2.1882 in Hamburg, wurde am 11. Juli 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Sie wurde per Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 14. September 1953 auf den 8. Mai 1945, 24 Uhr, für tot erklärt. (www.stolpersteine-hamburg.de Biografie Elisa Groth).

Für die weiteren von Hamburg aus deportierten Familienmitglieder werden ebenfalls Stolpersteine gesetzt. Die Familienmitglieder, die eines natürlichen Todes starben, haben auf dem jüdischen Friedhof Hamburg-Ohlsdorf an der Ilandkoppel ihre letzte Ruhe gefunden.

Stand: April 2018
© Michael Steffen